Es ist Sonntag und mit zwei Teenagerkindern gibt es für so einen Tag eigentlich nur zwei Möglichkeiten : auf dem Sofa ins Smartphone starren lassen oder etwas Aktives unternehmen. Wir probieren es mit einem Ausflug in alte Zeiten, als Bocholt noch blühende Textilstadt war. Mitten im kubaai-Quartier gelegen, zwischen Bocholter Aasee und Stadtzentrum, liegt die Weberei des LWL-Museum Textilwerk Bocholt. Der Weg dorthin ist umfangreich ausgeschildert und wir finden auf Anhieb einen Parkplatz. Bis zur öffentlichen Führung, an der wir uns vorgenommen haben teilzunehmen, ist es noch etwa eine Stunde. Also möchten wir die Weberei auf eigene Faust entdecken.
Das weitläufige Gelände zeigt auch hier Wegweiser zum Eingang des Museums. Wobei ich den Begriff „Museum“ immer als verstaubt und langweilig empfinde, ich würde hier eher von einem „Erlebnis-Museum“ sprechen. Ein paar Minuten gucken wir uns selbständig um und werden bei einem Webstuhl von einem engagierten Mitarbeiter abgefangen: „Soll ich Ihnen was zeigen?“ Was sich nach einer kurzen Rundtour anhört, wird noch unsere komplette Führung sein! Wir starten wieder ganz vorne, wo der große schwarze Heizkessel der Dampfmaschine mit der glänzenden Kohle wartet. Die Dampfmaschine, so erfahren wir, ist das Herzstück der ehemaligen Fabrik. Durch sie werden alle Webstühle angetrieben und später auch der Strom für die spärliche Beleuchtung erzeugt. Der Arbeitsplatz vor dem Heizkessel erscheint nicht sonderlich angenehm, ein echter Knochenjob.
Wir werden in den Raum der Dampfmaschine geführt. Mittig thront sie glänzend poliert im Raum. Prächtige Fliesen bedecken den Boden, die Holzvertäfelung mit Schmuckelementen aus Holz erinnert an eine Kirche. Während wir erzählt bekommen, dass hier deswegen alles so prunkvoll gehalten ist, weil die damaligen Ehrengäste wie Kunden, Pfarrer und Politiker hierhin geführt wurden, klappt unser Gästeführer an verschiedenen Ölgefäßen der Maschine kleine Schalter um und zieht ein Absperrband. Einmal hier mit dem Schlüssel umgedreht, da einen Knopf gedrückt und zack setzt sich die gewaltige Maschine in Gang. Dicke geflochtene Seile bewegen sich über verschiedene Antriebsmechanismen hin und her. Es ist erstaunlich ruhig. Bis auf ein Klackern und Klicken und das leichte Surren der Seile hören wir nichts.
In der Werkstatt erfahren wir, dass Arbeitssicherheit keine Rolle gespielt hat. Stattdessen mussten die Arbeiter aufpassen wo sie hin fassten. Trotz spärlicher Beleuchtung war präzises Arbeiten gefragt. Der Boden hier sieht aus wie gefliest, besteht aber aus Holzpflöcken, die in den Boden gerammt sind. Denn Metallguss, oder Teile, die daraus gefertigt werden, gehen nicht kaputt, wenn sie auf Holz fallen – ganz anders aber verhält es sich bei Steinfliesen. Von der Werkstatt geht es zur eigentlichen Weberei. Wir lernen, was ein Kettbaum, Kreuzspulen und Schäfte sind. „Sieben Leute waren notwendig für die Vorarbeiten, um einem einzigen Weber zuzuarbeiten“, erklärt uns der Gästeführer. Immer wieder geht er zu Geräten, erklärt uns die Vorgehensweise, betätigt Schalter und prompt bekommen wir vor Augen geführt, was wir vor wenigen Minuten nur in der Theorie erklärt bekommen haben. Das gefällt mir besonders gut, denn obwohl wir hier von „alter“ Arbeitsweise sprechen, ist die Geschwindigkeit der Maschinen und Arbeitsvorgänge doch sehr hoch. Ohne die vorhergehende Erklärung hätte ich nicht wirklich verstanden, was da gerade so vor sich geht. Die Teenagermädchen erfahren heute auch das erste Mal von Akkordlohn. Denn eine andere Bezahlung war in der Weberei zu damaligen Verhältnissen nicht üblich.
Beim Zettelbaum, einer Walze, auf der die Fäden abgespult und nebeneinander aufgefädelt werden, entstand übrigens der Ausdruck „sich verzetteln“. Riss hier ein Faden ab, kam ein gut erkennbarer Zettel hinein, damit im nächsten Arbeitsschritt klar erkennbar war, dass hier ein Faden fehlte. Der gerissene Faden musste natürlich so schnell wie möglich gefunden und wieder verknotet werden. Wir bekommen Proben von Fäden in die Hand und dürfen die einzelnen Arbeitsschritte erfühlen. Bei dem ersten Webstuhl bleiben wir dann stehen und lauschen, wie laut dieser ist. „Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben früher gegen den Lärm angesungen. Aber zwei typische Krankheiten gab es immer: Entweder die Staublunge oder Taubheit“, erfahren wir. Es muss ein ohrenbetäubender Lärm in der Halle gewesen sein. Dagegen kann man nicht ansingen, denke ich mir.
Wir bekommen verschiedene Webstühle gezeigt, die allesamt immer wieder eine eigene Verbesserung mit sich brachten. Vor allem die Lochkarte, eine Erfindung von Jacquard, brachte den Durchbruch in den Mustern. Ähnlich wie bei einer Programmiersprache mit 0 und 1 gab es gelochte Karten, die Befehle gaben, ob ein Faden gezogen oder nicht gezogen werden sollte, um ein Muster entstehen zu lassen. Was früher geschickte Kinderhände oberhalb der Webstühle absolvierten, funktionierte Mitte des 18. Jahrhunderts auf einmal auch ohne Kinderarbeit. Ein paar Schritte weiter lernen wir auch die Greiferwebstühle und die ganz modernen Webstühle kennen, die gerade Grubentücher herstellen.
Wenn ihr Weberei und Spinnerei erleben möchtet, nehmt euch Zeit und gönnt euch eine kleine Kaffeepause im „Schiffchen“, das sich in der Weberei befindet. Wir haben die Spinnerei leider nicht mehr geschafft, weil wir zu wenig Zeit eingeplant haben!
Zu guter Letzt geht es vorbei an einer Telefonzelle und der Stechuhr ins Chefbüro, das uns mit einem Tresen empfängt. Am vorderen Rand ist dieser sehr abgegriffen von den vielen Händen, die sich hier abgestützt haben, während auf die „Lohntüte“ gewartet wurde. Der Chef hatte hier natürlich das Sagen und hatte sogar eine Abmachung mit den Wirthäusern, dass um 23 Uhr die letzte Runde bestellt werden musste, damit am nächsten Morgen möglichst Wenige zu spät zur Arbeit kamen!
Wir bekommen noch gezeigt, wie ein Musterarchiv und ein Lochkartenarchiv aussahen, wo die Stoffe lagerten und wie Musterkataloge aussahen, damit die Großkunden schnell ihre Favoriten bestellen konnten. Warum war Bocholt eigentlich so eine blühende Textilstadt? „In diesen Breitengraden herrschen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit, die ideal sind für möglichst geringe Fadenbrüche. Vor allem Frühjahr und Herbst waren ideal für die Produktion“, lautet die Antwort.
Arbeiterfamilien waren meist über Generationen in der gleichen Firma beschäftigt, da sie dann die Möglichkeit hatten, in den angrenzenden Arbeiterhäusern inklusive kleinem Nutzgarten zu wohnen. Wer nicht mehr in der Fabrik arbeitete, durfte dort auch nicht mehr wohnen. Die Häuser haben wir uns nach der spannenden Führung in der Weberei übrigens auch noch angesehen – von innen und von außen. Ich habe größten Respekt vor den Menschen und der damaligen Tätigkeit!
Wer die Weberei auf eigene Faust erkunden möchte, kann sich an verschiedenen medial aufbereiteten Stationen digitale Tafeln durchlesen oder Filme ansehen. Auch die „Fühlproben“, die überall zu finden sind, geben dem ganzen Ausstellungshaus einen besonderen Charakter. Empfehlen möchte ich aber die Führung, denn die Maschinen in Aktion zu erleben ist schon sehr beeindruckend!
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