Unweit von Stever und Kanal führt die 100-Schlösser-Route auf Höhe Senden an einem ganz besonderen Bauwerk vorbei: Schloss Senden vereint 500 Jahre Baugeschichte in seiner dreiflügeligen Anlage. Fast noch spannender als die Architektur allerdings ist die Geschichte vom Erhalt des Wasserschlosses. Nach Jahren des Leerstands hat der Gebäudekomplex nun wieder eine Zukunft, weil engagierte Menschen keine Kosten und Mühen scheuen, um dieses besondere Erbe zu einem „Schloss für alle“ zu machen. Unsere Gastautoren von den www.entdeckerstorys.de haben den Motor dieser Initiative getroffen und sich die spannende Geschichte erzählen lassen.
Dr. Franz Waldmann schmunzelt, als er auf die beiden Radlerinnen blickt, die ihre Smartphones zücken und das Mannenhaus fotografieren, das sichtbar schief in der Gräfte steht. „Der Klassiker“, weiß der Sendener, „die erste Reaktion ist immer dieses Foto!“. Inzwischen hat er bei diesem Anblick wieder gut lachen, denn trotz seiner deutlichen Neigung steht der lange Zeit vom Einstürzen bedrohte Barockbau von 1719 seit kurzem auf stabilem Fundament. „Jetzt wünschen wir uns, dass hier so bald wie möglich ein Café die Türen öffnet“, erklärt Waldmann — und wie zur Bestätigung läutet der frisch sanierte Glockenturm zum Mittag.
Aber der Reihe nach! Das Mannenhaus ist ja nur eine der vielen Baustellen auf Schloss Senden, die sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt haben. Die Anfänge des Wasserschlosses reichen rund 700 Jahre zurück. Um 1350 übernahmen die Herren von Senden die Anlage, durch Heirat bildete sich kurz darauf der Familienzweig Droste zu Senden heraus. Unter der Regie dieses westfälischen Adelsgeschlechts kamen in jedem Jahrhundert neue Anbauten hinzu. Bis 1957 residierte die Familie auf Schloss Senden, dann erfolgte der Besitzerwechsel: „Der Inhaber der renommierten Funnemann-Handelsschule in Münster wollte hier eine Privatschule mit Internat betreiben“, geht Waldmann davon aus, dass ein attraktives Angebot am Ende den Ausschlag für den Verkauf gab.
Knapp fünf Jahrzehnte büffelten junge Menschen hier Buchhaltung und Zehn-Finger-System. Für den Internatsbetrieb reichte ein eher oberflächliches Makeover mit viel Farbe und Wandverkleidungen. Mit Hilfe von großflächigen Gauben und Zwischenwänden entstanden im Dachstuhl aus dem Dreißigjährigen Krieg Schlafräume, stützende Eichenbalken mussten Klassenzimmern weichen. „Damals gab es hier auch noch keinen Denkmalschutz“, erklärt Dr. Franz Waldmann die gravierenden Eingriffe, bei denen Architekturkundige heutzutage die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Es kam, wie es kommen musste: Als die Schule ihre Pforten schloss, war die Substanz des Wasserschlosses so in Mitleidenschaft gezogen, dass ein zwischenzeitig eingerichteter Hotelbetrieb ebenfalls wieder die Segel streichen musste.
Was machen mit dem maroden Gebäude? Eine grundlegende Sanierung hätte so viel Geld verschlungen, dass an einen wirtschaftlichen Betrieb nicht zu denken gewesen wäre. Stattdessen: Leerstand und weiterer Verfall. „Der Anblick war kaum zu ertragen“, erinnert sich Dr. Franz Waldmann mit Schaudern an eingeschlagene Fensterscheiben und undichte Dächer. „Mir hat jedesmal das Herz geblutet, wenn ich hier vorbeigekommen bin. Es war ein richtiger Lost Place.“ Weil sich nichts tat, ergriff er 2015 selbst die Initiative: „Ich bin an die Eigentümer herangetreten und habe ihnen eine Idee unterbreitet, wie man dieses Schloss retten könnte.“ Bei einem Treffen in Hamburg legte er die Details offen: „So ein Vorhaben funktioniert nur unter dem Aspekt der Gemeinnützigkeit“, machte er klar und brachte erstmals sein Konzept „Ein Schloss für alle“ ins Spiel: „Ein Ort für Bildung und Kultur, der sich der Gesellschaft öffnet.“
Nach einigen Verhandlungsrunden waren sich die Parteien einig: Franz Waldmann und Mitstreiter Wolfgang Voosholz streckten die Kaufsumme zunächst einmal vor, es folgte die Gründung des Vereins Schloss Senden, später auch des Freundeskreises Schloss Senden e.V. Seitdem bewegt sich der Arbeitsalltag des promovierten Chemikers im Ruhestand zwischen Architekturgutachten und Klinkenputzen. „Unsere erste Amtshandlung waren Sicherungsmaßnahmen“, schildert der Schlossvereins-Vorsitzende. „Anschließend haben wir das ganze Schloss entkernt.“ Und dann? „Gelder aufbringen!“, unterstreicht Waldmann und kann die Zahl der Anträge, die sein Team gestellt hat, kaum noch zählen. Aber sein Enthusiasmus war ansteckend, schnell begeisterte er weitere Wegbegleiter:innen und Förder:innen. Inzwischen verfügt das Schloss Senden über eine große Fangemeinde. „Von der Kommune bis zum LWL ziehen alle mit“, freut sich der Sendender. „Vor allem die Deutsche Stiftung Denkmalschutz steht voll hinter dem Vorhaben.“
Auch bei den Münsterland-Tourist:innen hat sich langsam herumgesprochen, dass Schloss Senden wieder ein lohnendes Ziel ist: Die Frühlingssonne lacht vom Himmel, immer neue Radgruppen erobern neugierig den wildromantischen Innenhof mit seinen üppig bepflanzten Blumentöpfen und der dunkelvioletten Tulpenpracht in der Mitte. In der von der Jugendbauhütte frisch gestrichenen Holzbude kommt das Freiwilligenteam kaum hinterher mit dem Verkauf von Kaffee und Kuchen. „Wir laden zum Mai-Café ein, haben eine Muttertagsaktion angeboten und organisieren Konzerte“, zählt Waldmann auf. „Auch wer hier einen runden Geburtstag feiern möchte, ist willkommen.“ Sollte das Wetter nicht mitspielen, geht es in das inzwischen in großen Teilen ebenfalls renovierte Herrenhaus. Alternativ bietet der Rombergtrakt mit seiner restaurierten Fassade und dem sanierten Balkon über der Gräfte längst wieder einen schmucken Anblick.
Beim Rundgang macht Franz Waldmann auf einige Schmankerl aufmerksam: Da ist der historische Kamin im Barockraum: Eigentlich in Herrenhäusern der klassische Ort für Porträts der Herrschaften, findet sich hier ganz untypisch eine Szene nach Cézanne. Geschaffen hat sie in den Sechziger Jahren der ehemalige Kunstlehrer der Funnemann-Schule, Hermann Vogt. Ein Hingucker ist auch der Turm des Rombergtraktes: Ein filigranes Schmiedewerk nimmt — einer Skulptur gleich — die ehemaligen Formen auf. „Der ursprüngliche Turm wurde 1944 beim Absturz eines Flugzeuges so stark beschädigt, dass er abgetragen werden musste“, weiß Waldmann, „wir finden diese neue Lösung sehr gelungen!“
Wir sind inzwischen wieder beim Mannenhaus angelangt. Wie genau ist das nun eigentlich vonstatten gegangen mit der Rettung? „Als wir die Pfähle im Untergrund haben untersuchen lassen, haben wir festgestellt, dass die Erbauer an dieser Stelle das viel weichere Tannen- statt Eichenholz verwendet haben“, erinnert sich Waldmann an den Schreckmoment. „Die Bausubstanz war in einem furchtbaren Zustand!“ Doch besonderes Fachwissen schuf Abhilfe: Das Fundament wurde durchbohrt und Schlick und Schlamm durch Betonfüllungen ersetzt. Schief, aber stabil: Mit diesem Status quo kann Franz Waldmann gut leben. Er freut sich schon auf die Gastronomie — und hat abgesehen davon noch weitere kreative Ideen für „sein“ Schloss. „Aber die sind noch nicht spruchreif“, macht er seine Gäste neugierig. Auf viel neues Leben in alten Mauern!
Schloss Senden ist einer der Münsterland-Picknick-Orte: Zum Preis von 38 Euro für zwei Personen erhalten Ausflügler:innen einen prall gefüllten Picknickkorb mit frischen Bioprodukten aus der Region. Auch Teller, Gläser und Besteck gehören dazu, so dass es für die Erholungsuchenden nur noch heißt: den persönlichen Picknickplatz im Schlosspark aussuchen, die Liegestühle ausklappen und genießen!
Wer Interesse an der Picknick-Aktion hat, kann sich mit Wunschdatum und speziellen Essensvorlieben per Mail an das Team wenden: kultur@schloss-senden.de
Bei Picknickwünschen zu den Veranstaltungen ist ein Vorlauf von fünf Tagen notwendig.
Dieser Beitrag wurde verfasst von unserer Gastbloggerin Ines-Bianca Hartmeyer. Ihr wollt mehr von Ines-Bianca lesen? Besucht Sie auf ihrem Blog unter entdeckerstorys.de.