Wir sind verwöhnt. Wenn wir ins Kino gehen, dann haben wir eine große Auswahl an Filmen. Wir können uns aussuchen, ob wir Popcorn, Nachos oder Süßigkeiten essen und welchen Softdrink wir trinken möchten. Wir werden mit Surroundsound beschallt, die Lichter flimmern bei einem filmischen Gewitter und in manchen Sälen vibriert sogar der Boden, wenn actionreiche Szenen gezeigt werden. Aber beschränken wir uns doch einfach mal wieder aufs Kino, auf die Tatsache, dass wir einen Film in einem gemütlichen roten Samtsessel auf einer Leinwand sehen und das Kinoerlebnis mit anderen Personen teilen.
Ich gucke mir heute einen Film im kleinsten Kino NRWs an. Das befindet sich in der Alten Brennerei Ennigerloh.
Die Alte Brennerei Schwake in Ennigerloh war mal (wer hat es geahnt?) eine Brennerei. Dann stand das Gebäude leer und wurde nicht mehr genutzt, bis ein junger Architekturstudent in den 1980er Jahren eine Diplomarbeit über die Umnutzung von leerstehenden Gebäuden mit historischem Hintergrund schreiben wollte. In Ennigerloh wurden zu der Zeit einige Gebäude abgerissen. Doch bei der Alten Brennerei wurde eine Ausnahme gemacht. Es gründete sich ein Verein, der nun ein Konzept entwickeln sollte, wie das Gebäude umgenutzt werden konnte. Zwei Voraussetzungen mussten erfüllt werden: Die öffentliche Zugänglichkeit musste gewährleistet werden und es sollte ein Kulturort entstehen. 1990 öffnete die Alte Brennerei Ennigerloh zum ersten Mal die Pforten als Kultureinrichtung.
Ich bin mit Edith Barth aus dem Vorstand Alte Brennerei Ennigerloh verabredet. Sie schließt den Haupteingang auf, der mit einigen Kinoplakaten verziert ist. Wir stehen im Foyer, das durch ein riesiges Kupferrohr geprägt ist, und gehen zielstrebig auf die große Doppeltür zu, die nun auch aufgeschlossen wird. „Hier finden unsere Veranstaltungen statt. Lesungen, Kabarett, Kindertheater. Morgen ist hier eine Kabarettist, es ist noch nicht alles fertig aufgebaut“, erklärt mir Edith Barth. Bis zu 120 Personen passen in den Saal mit Bühne und pro Jahr werden zwischen 20 und 25 Veranstaltungen hier auf die Beine gestellt.
Es klopft an der Tür und wir bekommen Besuch von Anne Scholz-Aufderheide, die Mitglied im Beirat ist. Beide Frauen brennen für diesen Ort, das merke ich schnell. „Ich war hier erst Stammgast im Kino und bin so in den Beirat gekommen.“, erzählt mir Frau Scholz-Aufderheide. Die Tätigkeit im Verein ist ehrenamtlich.
Die Alte Brennerei beherbergt aber nicht nur einen Veranstaltungssaal, sondern auch ein Stickereimuseum und eben zwei kleine Kinosäle sowie einen Raum („Eichenraum“), der etwas kleiner ist und für Lesungen oder momentan für eine kleine Fotoausstellung genutzt wird.
Entgegen meiner Erwartungen leiten mir keine roten Samtteppiche den Weg zum Kinosaal. Keine goldenen Stelen mit roten Kordeln versperren mir den Durchgang, stattdessen gehen wir die schlichte helle Treppe nach oben. Auch hier sind noch Rohre und Elemente der Brennerei zu sehen. Ich darf einen Blick in den kleinen Kinosaal werfen, der 24 Plätze beherbergt (schnuckelig!). Dahinter befindet sich der Vorführraum, den ich mir auch angucken darf. Dieser Raum ist die Verbindung der beiden Kinosäle: Die eine Seite bietet Platz für den Projektor in den kleinen Saal, dessen Bild mithilfe eines Spiegelkonstrukts an die Leinwand geworfen wird, da nicht genügend Platz war, um den Projektor direkt dahinter zu installieren. Auf der anderen Seite des Raumes ist der digitale Projektor für den großen Saal, der immerhin 56 Personen Platz bietet.
Auf keinen Fall später kommen als die Startzeit des Films angekündigt wurde, denn sonst verpasst man den Anfang: Es wird keine halbe Stunde Vorschau und Werbung gezeigt.
Wo vorhin noch der Durchgang zur Vitrine mit dem Hinweis zum Stickereimuseum war, ist plötzlich eine rollende Theke aufgetaucht, an deren Front ein großes Schild mit „Kasse“ gepinnt ist. Es gibt keine Nachos, dafür Chips, Süßigkeiten und Getränke. Ich decke mich mit ein paar leckeren Sachen ein und darf in den großen Kinosaal. Überraschung: Es herrscht freie Platzwahl! Ich suche mir einen kuscheligen Platz neben dem lichtundurchlässigen Fenster, denn dann kann ich meine Tasche und die Chips auf der Fensterbank platzieren. Es gibt keinen unterschwelligen Kampf, wem wie viel Platz der Armlehne zusteht und ob nun der linke oder rechte Getränkehalter dem Sitzplatz automatisch zusteht oder wer eben am schnellsten am meisten Platz belegt. Das ist schon mal entspannt. Noch entspannter finde ich, dass wir gerade mal einen Werbespot sehen, noch einen kleinen Hinweis zum Haus selbst und dann geht’s auch schon los mit dem einzigen Film, der heute gespielt wird („Was man von hier aus sehen kann“). Ich musste mir vorher also nicht überlegen, welchen Film ich gucken wollte. Heute Abend läuft eben nur dieser eine. Was sollte ich auch sonst als Alternative an einem Donnerstagabend im Fernsehen gucken? Das hier ist eine tolle Abwechslung.
In einem kleinen Raum bin ich auch meinen Mitmenschen näher. Ich höre sie lachen, wenn eine Szene witzig ist oder prusten, wenn doch eine unerwartete Wendung gezeigt wurde. Ein Schniefen bestärkt mich darin, dass diese Szene wirklich rührig war und ich sicher nicht die einzige bin, die sich eine Träne verdrücken muss. Ich erinnere mich an eine kleine Anekdote von Frau Barth. Sie hat mir erzählt, dass bei dem Film „Verstehen Sie die Béliers?“ auf einmal das Publikum spontan die Chansons von Michel Sardou mitgesungen und mitgesummt hat. Erstaunt habe ich die Augenbrauen gehoben, nun kann ich insgeheim zustimmen, denn das kann ich mir jetzt sehr viel besser vorstellen. Ich spare mir an dieser Stelle eine Ausführung über den Film, obwohl er mir sehr gut gefallen hat, da der Kinobesuch auch mit einem anderen Film sehr schön gewesen wäre, da bin ich mir sicher.
Der Abspann läuft und alle bleiben noch sitzen. Das liegt sicherlich auch am schönen Abspann, aber auch daran, dass der Film noch etwas wirken muss. Ich schäle mich aus dem gemütlichen Sitz und verlasse den Saal. Da fällt mir am anderen Ende des Flures ein alter Filmprojektor ins Auge. Was für ein riesiges Gerät, einerseits mit großen Rollen und Klappen, andererseits kleinere und filigrane Rollen. „Die Filmvorführer sind froh, dass sie dieses Ding nicht mehr bedienen müssen“, greift Frau Barth meine Gedanken auf. Ich finde es dennoch toll, dass man Alt und Neu direkt miteinander vergleichen kann. Das ist nochmal eine andere Art von Historie und passt zu diesem Gebäude.
Ich empfehle den Besuch dieses Kinos wärmstens! Wer keinen Blockbuster-Kram braucht, sondern auf die Atmosphäre eines kleinen Kinos „wie früher“ steht, sollte unbedingt einen Ausflug in die Alte Brennerei Ennigerloh planen.